ONE nutzt Daten auf eine neue Art und Weise, um die Zusammenhänge der globalen Krisen einer breiten Öffentlichkeit näherzubringen

Molly Anders, David McNair

Sep 15, 2022

ONE nutzt Daten auf eine neue Art und Weise, um die Zusammenhänge der globalen Krisen einer breiten Öffentlichkeit näherzubringen

Bis zum 29. Juni sind 5.493.437 Menschen aus der Ukraine geflohen. Janez Lenarčič, der Kommissar für humanitäre Hilfe der Europäischen Union, sagte: "18 Millionen Menschen werden humanitär betroffen sein."

Mit diesen Worten beginnt der neueste Data Dive der Entwicklungsorganisation ONE. Dieser untersucht, wie sich die Krise in der Ukraine auf die ohnehin schon bedrohliche Nahrungsmittelknappheit auf dem afrikanischen Kontinent auswirken wird. Eine der schwierigsten Aufgaben, denen internationale Entwicklungsorganisationen gegenüberstehen, ist die Verknüpfung einer akuten humanitären Krise mit Katastrophen oder Herausforderungen, die in den Medien weniger Beachtung finden. Obwohl diese häufig größere Auswirkungen auf das Leben der Menschen haben. In Fachkreisen ist es unumstritten, dass der Klimawandel die Migration beeinflusst, dass der Zugang zu Wasser und Hygiene die Bildung von Mädchen beeinflusst oder, dass Infrastruktur die Mütter- und Säuglingssterblichkeit beeinflusst. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Aber wie schafft man es, der breiten Öffentlichkeit diese Zusammenhänge aufzuzeigen? Das wird zunehmend schwierig in einem Zeitalter, in dem Aufmerksamkeit eine begehrte Währung ist und das Medieninteresse hektisch von einem zum nächsten Thema springt. Besonders, wenn die Öffentlichkeit darauf konditioniert wurde, auf eine Krise nach der anderen zu reagieren und das Problem dann bis zur nächsten Krise wieder zu vergessen.

Das Team von ONE versucht, die Lücken zwischen den Überschriften auf Titelseiten und den größeren Zusammenhängen globaler Krisen zu schließen. Dabei hilft der neue Ansatz der ONE „Data Dive“-Reihe: Durch die Visualisierung von Echtzeitdaten werden komplexe Sachverhalte erklärt. Das Development Engagement Lab sprach mit David McNair, geschäftsführender Direktor für globale Politik bei ONE, über die Idee hinter dem Data Dive, die Erkenntnisse, die ONE aus der Initiative zieht, und darüber, wie sich so die Kommunikation in der Öffentlichkeitsarbeit verändert.

Können Sie ein wenig darüber erzählen, wie der Data Dive zustande kam? Welche Themen haben für Sie bei der Datenerfassung im Vordergrund gestanden?

Der Data Dive zum Thema Ernährungssicherheit ist der jüngste Teil der Serie - wir haben zuvor bereits über einen Plan zur Abwendung einer Schuldenkrise, die ungleiche Verteilung von Impfstoffen, die Auswirkungen von Russlands Einmarsch in der Ukraine auf Afrika sowie über eher technische Themen wie Sonderziehungsrechte berichtet.

Unser Ziel ist es, eine Reihe von Informationsseiten zu erstellen, die sowohl die Themen verständlich und einfach erklären als auch aktuelle Daten bereitstellen, die automatisch aktualisiert werden, damit Journalistinnen, Unterstützerinnen und Interessierte immer die neusten Daten für Briefings, Artikel etc. finden können.

Die Idee entstand aus der Erkenntnis heraus, dass wir hinter den Kulissen so viele Analysen anfertigten, die jedoch nur von sehr wenigen Menschen genutzt wurden. Entweder weil sie in langen Berichten versteckt waren oder weil sie zu sehr mit Fachjargon gefüllt waren. Ich glaube, dass eine klare und übersichtliche Darstellung der Auswirkungen dieser Themen sehr wichtig ist.

Beim Thema Ernährungssicherheit wollten wir die zentralen Probleme erläutern. Als wir aber ins Detail gingen, stellten wir fest, dass es sich dabei um ein sehr technisches, aber auch durchaus umstrittenes Thema handelt. Es gibt viele verschiedene Definitionen von Hunger und viele der Daten sind sehr komplex. Bevor wir erklären, wie viele Menschen davon betroffen sind und was die Ursachen für Hunger sind, wollten wir die Leser*innen zunächst daran erinnern, was für eine schreckliche persönliche Erfahrung Hunger ist, mit der viel zu viele Menschen konfrontiert sind. Es handelt sich dabei um die Definition eines komplexen Systems. Wir wollten deutlich machen, welchen Schaden es anrichtet, wenn wir nicht auf die humanitären und langfristigen Bedürfnisse reagieren. Wir wollten aber auch aufzeigen, wenn wir auf schädliche Weise reagieren wie z.B. durch das Verhängen von Ausfuhrverboten.

Wie sind Sie an die Daten gekommen?

Zunächst sprachen wir mit Expert*innen und nutzten die wichtigsten Berichte über Ernährungsunsicherheit und Ernährung im Allgemeinen. Als wir ins Detail gingen, begannen wir auch, einige der technischen Fragen zu untersuchen wie die hervorragende Arbeit der International Food Policy Research Group über Exportverbote.

In einigen Fällen haben wir Daten aus Projekten wie der Hunger Map des World Food Programme und dem Food Security Index der Food and Agriculture Organisation genutzt. Wir zogen Daten der Weltbank und des US-Landwirtschaftsministeriums heran und prüften die Möglichkeit, Satellitendaten zu verwenden, um die Auswirkungen des Krieges auf die Schifffahrt aufzuzeigen. Der Zugang zu den Bildern erwies sich jedoch als problematisch. Der Guardian hat das hier brillant gelöst.

Wie, wenn überhaupt, hat sich das Projekt von der Konzeption bis zum Start verändert?

Ernährungssicherheit ist ein sehr komplexes Thema und wir haben viele faszinierende Ansätze verfolgt. Zum Beispiel die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, wie Hunger und Instabilität im Laufe der Geschichte zusammenhängen. Aber letztendlich mussten wir uns auf die Schlüsselelemente konzentrieren, für die wir Daten hatten, die aber auch mit den Kernfragen unserer Zielgruppe zusammenhingen.

Gibt es bereits Pläne für zukünftige Data Dives? Möglicherweise Weiterentwicklungen von diesem?

Wir hatten bereits einen Data Dive über die verschiedenen Dominosteine erstellt, die nach Putins Invasion fallen könnten – von der mangelnden Aufmerksamkeit für die COVID-19-Pandemie (die übrigens immer noch andauert), über den Druck auf Hilfsleistungen, die Ernährungssicherheit, die Auswirkungen der Inflation in verschuldeten Ländern, bis hin zu den geopolitischen Auswirkungen der Abstimmungen der UN-Generalversammlung, in denen Russland verurteilt wurde.

Wir haben gerade einen Data Dive über den Aufbau eines Pharmasektors in Afrika veröffentlicht und arbeiten an ähnlichen Projekten zu den Chancen und Risiken des Klimawandels für Afrika, zu Gender und sozialer Inklusion sowie zur Schaffung von Arbeitsplätzen auf dem afrikanischen Kontinent.

Können Sie etwas über die Reichweite bzw. die Zielgruppe sagen, die das Tool bisher erreicht hat? Wer hat es am nützlichsten gefunden? Gibt es irgendwelche Überraschungen bei der Nutzung des Tools?

Wir verfolgen diese Daten sehr genau, um zu sehen, was funktioniert und wo wir möglicherweise korrigieren müssen. Seit Putins Invasion wurden unsere Data Dives fast zehntausend Mal genutzt, wobei die durchschnittliche Nutzungsdauer viereinhalb Minuten betrug.

Wir wissen, dass die Teams und Partner von ONE die Informationen nutzen, aber wir kennen auch eine Reihe von hochrangigen Journalist*innen, welche die Informationen bereits verwendeten, worüber wir uns sehr freuen. Feedback und Vorschläge darüber, welche Informationen für zukünftige Veröffentlichungen nützlich sein könnten, sind für uns immer sehr hilfreich. Das Backend unserer Daten, also die Visualisierungen, sind frei verfügbar, falls andere die Informationen nutzen möchten.

Manchmal hat man das Gefühl, dass die Welt außer Kontrolle geraten ist. Wenn wir die Komplexität dieser großen Themen so erklären können, dass die Menschen sie verstehen und dadurch erkennen, wie sie etwas verändern können, dann glaube ich, dass dies ein enormes Potenzial freisetzen wird, um die Dinge zum Besseren zu verändern. Und wenn unser Beitrag anderen dabei hilft, freuen wir uns besonders darüber.

Written by

Molly Anders

Molly Anders

Research Insights and Engagement Lead at the Development Engagement Lab

David McNair

David McNair

David McNair is executive director at ONE.org. Co-founded by Bono, it is a movement of millions of people fighting to end extreme poverty and preventable disease.

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